Vietnam

Grenzen

Grenzkontrollen sind generell etwas lästiges und unangenehmes. Meistens steht man in einer Menschenschlange und wartet darauf, dass ein Zollbeamter Pass, Visum und Einreisekärtchen kontrolliert.

Allerdings präsentiert sich ein Land an seiner Grenze dem Touristen zum ersten mal und macht neugierig darauf inwiefern die Grenze das Land repräsentiert.

In Amerika wurde ich als potentieller Terrorist behandelt und mit allerlei unnützen Fragen traktiert.

Die Kiwis waren freundlich, hilfsbereit, einladend und begrüßten mich mit einem Lächeln auf den Lippen.

Die Einreise nach Vietnam gestaltet sich als eine völlig neue Grenzerfahrung. An der Landesgrenze zwischen Kambodscha und Vietnam werden von dem Tourorganisator zunächst alle Pässe eingesammelt, mit dem Hinweis doch bitte 1 Dollar hineinzulegen.

Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit, da ich grundsätzlich meinen Pass nicht gerne aus der Hand gebe und eine Erklärung über die Prozedur nicht erfolgt. Schließlich werden wir aufgefordert aus dem Bus zusteigen und werden in eine überfüllte Wartehalle geführt. Zu allem Überfluss regnet es in Strömen und die Strasse ist so überflutet, dass mir das Wasser bis zu den Knöcheln reicht.

Nach 5 min bangem Warten ohne die geringste Ahnung wo mein Pass ist, werden wir an der Menschenschlange und dem Zollkontrolleur vorbei geführt und dürfen wieder in den Bus steigen. "Na super, jetzt bin ich in Vietnam und mein Pass wird an irgendeinen Schlepperring vertickt", befürchte ich. Hinzu kommt, dass der Tourorganisator nirgends zu sehen ist. Ich bin nicht der einzige der etwas unruhig wird und anfängt auf den unschuldig dreinblickenden Busfahrer einzureden.

Aus dem Fenster sehe ich einen Zollbeamten durch den Regen stapfen. Er steigt in den Bus und liest laut die Namen von den Pässen in seiner Hand. Da er nicht wirklich englisch spricht, ist es schwierig, herauszufinden wer gemeint ist.
Aber nach weiteren 10 Minuten setzt sich der Bus in Richtung Saigon in Bewegung und ich halte erleichtert meinen Pass in der Hand.

Saigon

Lässt man die Roller beim Überqueren der Strasse nicht aus den Augen so gelingt es einem unbeschadet auf die andere Straßenseite zu gelangen. Einer Mischung aus Bienenschwarm und industrieller Sortiermaschine gleich biegen die Roller in die eine oder andere Richtung ab. Sie fahren auf der falschen Straßenseite, Bürgersteige und rote Ampeln scheinen nicht existent zu sein.

Im Park machen alte Männer ihre Dehnübungen, Jugendliche spielen Fußball oder Badminton und Pärchen sitzen auf Rollersitzen und unterhalten sich. Viele sind neugierig und es dauert keine 5 Minuten bis ich von 4 verschiedenen Menschen angesprochen werde. Viele wollen einfach nur ihr Englisch verbessern und suchen deshalb den Kontakt zu Fremden.

Bei Bone ist das anders. Bone ist 1937 im Mekong Delta geboren

Ich mache seine Bekanntschaft im Park. Er setzt sich neben mich auf die Bank und beginnt einen Monolog. Er lässt wie viele ältere Herren zwar Fragen zu, beantwortet sie aber nicht wirklich, sondern fährt mit seiner Geschichte fort. Im bordeaux-farbenen halboffenem Hemd sitzt er neben mir und zeigt während des Selbstgespräches immer wieder auf mich, wenn er eine seiner (rhetorischen) Fragen stellt.

Nachdem er herausbekommen hat, dass ich auch Französisch spreche, wechselt er immer wieder zwischen Englisch und Französisch, so dass ein lustiger Sprachwirrwarr entsteht. Da sich meine Antworten aus seiner Erzählung ergeben und ansonsten irrelevant sind, schildere ich das Gespräch aus Bones Sicht (frei übersetzt):

"Entschuldigen Sie bitte, was für eine Sprache lesen sie da gerade? Englisch?
Ich habe eine Zeitlang für die amerikanische Botschaft als Sicherheitsmann gearbeitet.
Woher kommen Sie denn?
Der deutsche Botschafter war einmal zu Besuch in der amerikanischen Botschaft. Wir durften für ihn Essen und Trinken holen und er hat uns als Dienstmädchen behandelt. Ich glaube er hat nicht ganz verstanden was unser eigentlicher Job ist (lacht).
Mein Englisch ist nicht so gut.
Du sprichst Französisch?
Zuerst habe ich für die Franzosen gearbeitet und habe deshalb Französisch gelernt. Sie sprechen Französisch? Gut (schaut sich nach links und rechts um).
Die jüngeren Vietnamesen lernen alle Englisch, das hat den Vorteil, dass sie einen nicht verstehen wenn man Französisch spricht.
Wieso uns keiner verstehen soll? Was denken Sie, warum man hier so wenig uniformierte Polizisten sieht? Was denken Sie, wer hier die teuren Autos fährt? Was denken Sie was der Job von 3 Millionen Mitgliedern in der Kommunistischen Partei ist?
Nein, offen kann ich nicht in Englisch über Politik reden, zu gefährlich. Junge Leute reden nicht mehr über Politik, sondern nur über Business. Schöner Kommunismus nicht wahr? Wir sind hier kapitalistischer als die Amerikaner.
Als die Amerikaner gingen, war der Krieg verloren. Jeder Südvietnamese der irgendwas mit der Regierung zu tun hatte wurde enteignet und in ein Reeducation Camp ("Umerziehungslager") verfrachtet.
Ich war drei Wochen da. Wollte ihnen klar machen, dass ein Sicherheitsmann nichts mit Politik am Hut hat, aber geglaubt hat mir ja doch keiner. Hinzu kam das meine Frau mit meinem Sohn fliehen wollte. Sie haben doch sicher von den Boatpeople gehört. Sie hat es nicht geschafft und das hat meinen Fall nicht gerade glaubwürdiger gemacht.
Eigentlich darf ich bis heute nicht in Saigon wohnen, aber ich muss hier sein, ich wurde vor kurzem an der Niere operiert. (Stolz hebt er sein Hemd und zeigt mir eine 10cm lange Narbe. Es beginnt zu regnen und wir suchen Unterschlupf in einer nahe stehenden Pagode. Ungeduldig mustert Bone die mit uns wartenden Menschen.)
Das Reeducation Camp war in Wirklichkeit ein Arbeitslager, das einfachste Mittel, unbequeme Zeitgenossen verschwinden zu lassen. Viele meiner Freunde habe ich nie mehr wiedergesehen.
Sie werden ungeduldig, ich sehe das an ihren Augen. Es hat aufgehört zu regnen, sie müssen wahrscheinlich weiter. Ich bin jeden Tag hier, ich würde mich freuen Sie morgen hier wieder begrüßen zu dürfen."

Ich kenne drei Möglichkeiten in Vietnam die WM zu verfolgen:

  • 1. Im Hotelzimmer, was vor allem für die Spiele um 1h30 in der Nacht sehr komfortabel ist.
  • 2. In einer westlichen Bar, von grölenden Engländern und uninformierten Amis umringt.
  • 3. In einer vietnamesischen Bar auf einem Plastikstuhl sitzend, zumeist als einziger Nichtasiat.
Zwar verstehe ich den Kommentator nicht, doch die euphorischen Vietnamesen, das billige Bier und die Authenzität entschädigen mich für den fehlenden Komfort eines Ventilators.

Schnell wird mir auch klar, warum die Sympathien so unterschiedlich verteilt sind. Der Barbesitzer macht mir in gebrochenem Englisch inklusive Händen und Füssen klar, dass er aufgrund der 0:1 Niederlage Deutschlands 2 Millionen Dong bei Fußballwetten verzockt hat. Zwei Millionen Dong, das sind etwas mehr als 85 Euro und entspricht dem durchschnittlichen Monatslohn eines Vietnamesen.

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64 Stunden auf dem Heimweg

Von Sapa über Hanoi, Ho Chi Minh City, Singapur, Colombo (Sri Lanka), Dubai und Frankfurt zieht sich die Reise mit Zug und Flugzeug dann doch ziemlich in die Länge.
Am Flughafen in Singapur habe ich genügend Zeit meine Emails zu lesen und erfahre so ganz nebenbei wohin es mich das nächste Jahr verschlägt. Eine Nachricht der Uni Lyon liegt in meinem Postfach. Das heißt für mich dann wohl, dass ich in Deutschland einen etwas kürzeren Zwischenstopp einlege als geplant.
An Schlafen ist auf dem Weiterflug nicht zu denken, weil in Colombo die Klimaanlage ausfällt. Dies ist angesichts 40 Grad Außentemperatur eine mittelgroße Katastrophe und führt fast zu einer Meuterei der Fluggäste, die nur knapp abgewendet werden kann.
Nach 62 Stunden stehe ich am Frankfurter Hauptbahnhof und komme mir wie in einem Film vor. 10 Monate im Ausland und auf einmal hört man wieder überall dieselbe Sprache. Es scheint sich nicht viel verändert zu haben, denke ich mir, als ich mit einer Stunde Verspätung aus dem Zug aussteige und meine Umgebung mustere.

Das war's. Vorerst!

Da meine Reise nun vorbei ist, werde ich auch diesen Blog beenden. Da auf mich nun wieder ein Leben mit Alltag wartet, wird es wohl aus meiner zukünftigen Studienzeit nicht so viel Lesenswertes zu berichten geben. Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen und wenn der nächste Trip ansteht, erfahrt ihr das wieder hier.

Bis später

Jo